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Bayerischer Canossa Gang in Seeshaupt – Protestantischer Kirchenaustritt im katholischen Oberland – 1990

Am Mo., 17. September 1990

Mitte September ist mein North Sails Firmenkauf unter Dach und Fach und ich mache als selbst gewählter Jungunternehmer - während meine katholische Gattin im Sommerurlaub in Sardinien weilt - einen Besuch bei der Gemeinde Seeshaupt, um der dortigen Verwaltung meinen Austritt aus der Evangelischen Kirche zu erklären. Dies erfolgt nach meinen Überlegungen und Berechnungen zu den zukünftig zu erwartenden steuerlichen Belastungen aus meiner Mitgliedschaft in der Kirche. Der Kirchenaustritt ist die vom Mitglied veranlasste Beendigung der staatlich registrierten Mitgliedschaft in einer Kirche. In Deutschland gelten die Landesgesetze über den Kirchenaustritt daher nur für öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, für diese allerdings unabhängig davon, ob sie sich selbst als „Kirche“ bezeichnen. Der Austritt aus privatrechtlichen Gemeinschaften richtet sich dagegen nach dem zivilen Vereinsrecht. Kirchenaustritte haben neben demografischen Faktoren maßgeblichen Anteil am Rückgang der Mitgliederzahlen der Großkirchen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. In einigen Ländern, in denen keine staatliche Registrierung der Kirchenmitglieder erfolgt, jedoch die Mitgliedschaft öffentlich-rechtliche Folgen entfaltet ist kein Kirchenaustritt möglich, was sich auch in den Statistiken der Mitgliederzahlen widerspiegelt. Das Recht auf den Kirchenaustritt ergibt sich gegenüber dem Staat aus dem Grundrecht der negativen Religionsfreiheit. Bis 1932 und zwischen 1936 und 1940 waren in Deutschland und Österreich ähnlich viele Kirchenaustritte wie nach 1968 und nach 1989 zu verzeichnen. Von 1933 bis 1936 und nach 1945 in der Adenauer-Zeit gab es in Westdeutschland wieder Kircheneintrittsbewegungen. Die Gründe für einen Kirchenaustritt variieren stark und sind individuell verschieden. Daher kamen wissenschaftliche Studien, die die Ursache für den Kirchenaustritt zu ergründen versuchten zu verschiedenen Ergebnissen. Eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der deutschen katholischen Bischöfe 1992/93 kam zu dem Ergebnis, dass die Kirchensteuer meist nur noch Anlass sei. So würden sich Katholiken nicht mit der Institution identifizieren, hätten kein Verständnis für die Sexualmoral und würden ihren Vertretern oftmals „Heuchelei“ vorwerfen. Die drei häufigsten Gründe für den Kirchenaustritt waren demnach in der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit die Einsparung der Kirchensteuer, die Aussage Ich kann auch ohne Kirche christlich sein sowie die Gleichgültigkeit gegenüber der Kirche. Bei drei Vierteln der Konfessionslosen in Westdeutschland handelte es sich um frühere Protestanten, die in den letzten 25 Jahren aus ihrer Kirche ausgetreten waren, während in den neuen Bundesländern viel häufiger die Konfessionslosigkeit seit Generationen bestand und eine grundsätzliche Ablehnung von Religion geäußert wurde. Statistisch eher selten seien Übertritte zu einer anderen großen Konfession oder noch seltener der Wechsel in kleinere Glaubensgemeinschaften wie Sekten oder Freikirchen. Der Religionssoziologe Detlef Pollack führte 2012 den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche in Deutschland an. Hinzu käme die demografische Entwicklung und Säkularisation der Gesellschaft.

Mit dabei
  • Michael Kamm

Die am Zentrum für kirchliche Sozialforschung an der Katholischen Hochschule Freiburg verfasste Studie "Austritt oder Verbleib in der Kirche" sieht die Entscheidung als Endpunkt eines längeren Prozesses, der schließlich zum Austritt führe. Demnach sei der Kirchenaustritt nicht Indikator für einen aktuellen Dissens der Mitglieder mit ihrer Kirche, sondern Ergebnis einer langfristigen, oft mehrjährigen Entwicklung, wobei insbesondere dem Zeitraum von Pubertät, Konfirmation und Firmung eine wichtige Rolle zukomme, während dessen sich Jugendliche verstärkt mit der Sinnsuche beschäftigten.

Der Kirchenaustritt hat in Deutschland zur Folge, dass der Staat keine Rechtsfolgen mehr an eine Mitgliedschaft knüpfen darf. Dazu zählen der Kirchensteuereinzug sowie die Teilnahme am Religionsunterricht. Die Kirchen werden einmalig über den Austritt informiert und bekommen fortan von den Meldeämtern keine Mitteilungen mehr über Umzüge und Personenstandsänderungen des früheren Mitglieds.

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