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Wohnlicher Ort im Wahnsinn – Kitsch, Stil & Skihütte – Red Bull im Marstall Zelt – 2015

Am Mi., 23. September 2015

Zur Mitte der zweiten Wiesn-Woche bin ich von der Red Bull Media Group zu einem Wiesn-Besuch im Marstall Festzelt eingeladen. Neben Wolfgang Winter ist da auch Peter Levetzow engagiert und ich habe viel Spaß an dem Abend. Learning from Las Vegas: Der neue Marstall ist wie die anderen Wiesn-Zelte vor allem ein dekorierter Schuppen. Und doch gibt es Unterschiede. Wirt Siegfried Able hat ein gigantisches Wohnzimmer geschaffen. Das neue Marstall-Zelt ist, abgesehen von seinem generell umstrittenen Neusein als Nachfolgebau des Hippodroms, schon insofern eine Herausforderung für die Architekturkritik, als es sich beim Marstall-Zelt weder um einen Marstall noch um ein Zelt handelt. Bautypologisch gilt der Marstall, dessen Name sich aus dem Althochdeutschen ableitet, als die Gesamtheit der Stallungen für Pferde und Wagen eines Fürsten. Nun ist aber Festzeltwirt Siegfried Able bei allem womöglich innerlich vorhandenen, zumindest lautmalerisch durchaus in Assoziationsnähe gelegenen Adel kein Fürst, sondern ein Gastronom. Wenn nicht gar ein Wiesnwirt. Auch ist es so, dass im Marstall-Zelt nach erstem Augenschein eher keine Pferde, sondern Gäste verkehren. Wobei sich zu später Stunde mitunter zeigt, dass manche Gäste das Zelt nach Pferdeart als Tränke missverstehen. Ein Zelt ist der Marstall auch nicht wirklich. Konstruktiv und bautypologisch ist er, da es sich um eine temporäre Architektur handelt, die zerlegbar und transportabel ist, schon ein Zelt. Phänotypisch aber müsste er dann auch als solches im Sinne guter, im Wortsinn Baukultur erkennbar sein. Das Marstall-Zelt aber ist das, was die anderen Zelte auch sind. Robert Venturi, amerikanischer Architekturtheoretiker von Rang, hat dafür in seinem Standardwerk "Learning from Las Vegas" (1972) einen wunderbaren Begriff geprägt: den "dekorierten Schuppen". Das soll jetzt nicht die zutiefst bayerische Kunstform der Bier-Beherbergungsarchitektur diskreditieren, die auf ihre Weise ganz schön archaisch bis zivilisationsgeschichtlich bedeutsam ist. Aber jedwede Wiesn-Architektur ist im Idealfall eben genau das, was die Geisterbahn auch ist: ein dekorierter Schuppen, wo man sich eher an Mass, Hendl und Dirndl als an der Formvollendung von Architektur und Interior Design berauscht. Deshalb zeigt zum Beispiel das Armbrustschützenzelt, was dabei herauskommt, wenn man eine Tiroler Skizirkushütte mit einem mittelalterlichen Türmchen aus dem Fränkischen zwangsvermählt. Oder das Fischer-Vroni-Zelt: Es sieht eigentlich kaum nach Fisch oder Vroni aus, dafür erinnert es an ein fachwerkhaft sich aufplusterndes Gestüt aus dem Münsterland. Bei der Deko wird es interessant - auch, nein, gerade im Vergleich mit den angestammten Festzelten. Deren Wirte haben sich bekanntlich schwer damit getan, des Neuen, also Ables Wirte-Adel anzuerkennen - und zwar wegen eines Mangels an Alteingesessenheit und Traditionsgaststättenhaftigkeit. Was aber macht man, wenn einem der Adel den Zugang verwehrt? Man zeigt ihm, wie verarmt und verkommen er in Wahrheit doch ist; man unterstreicht die Überlegenheit des prosperierenden Bürgertums, das sich vor dahergelaufenem niederen Landadel nicht verstecken muss.

Mit dabei
  • Michael Kamm, Red Bull Team

Der Marstall löste 2014 das Hippodrom ab. 3200 Sitzplätze gibt es im Inneren, 880 außen. Das Zelt ist barrierefrei zugänglich, es werden auch Rollstuhl-gerechte Reservierungsplätze angeboten. Der Marstall will zudem besonders familienfreundlich sein. Es gibt Wickeltische, Platz für Kinderwägen in den Gängen und eine Kinder-Speisekarte. Abends wird im Zelt dann Party gemacht. Dazu wird Spaten ausgeschenkt.

Am Pferdegespann auf dem Dach erkennt man das Marstall-Festzelt der Familie Able gleich rechts neben dem Haupteingang. Es erinnert damit an das Pferderennen, das bei der ersten Wiesn im Jahr 1810 zu Ehren der Hochzeit von Kronprinz Ludwig und der Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen veranstaltet wurde.

Fehler entdeckt, Änderungen & Ergänzungen gewünscht sowie eigene Photos zur Vervollständigung verfügbar? Bitte gerne per Mail an Michael@Kamm.info.