Heidenheim an der Brenz – Gelebte Ploucquet Historie & Textilgeschichte – 2010
Das Textil-Unternehmen Ploucquet hatte seit dem Jahr 1806 seinen Sitz in Heidenheim an der Brenz - neben der Verwaltung war auch die gesamte Entwicklung und Produktion sowie die Lagerhaltung in der Innenstadt angesiedelt. Der Niedergang der Textilbranche in Westdeutschland machte aus Kostengründen eine Verlagerung der Entwicklung und Produktion in die neuen Bundesländer notwendig. Günstigste Region in der Republik ist hier die Oberlausitz, weshalb Zittau im Dreiländerecke zu Polen und Tschechien neue Heimat des Unternehmens wurde. Das seit 200 Jahren bestehende Gebäude Konglomerat in bester Heidenheimer Innenstadtlage wurde - einschließlich eines hohen Schornsteins - abgerissen und das Grundstück neu mit schönen Wohnungen in bester Lage direkt am Fluß Brenz bebaut. Im Januar 2010 habe ich das Unternehmen nach dieser Phase übernommen und es für einige Jahre vom neuen Standort München aus geleitet. Nur durch die Erlöse aus der Veräusserung der Firmen Immobilie in Heidenheim konnte die Firma damals eine wirtschaftlich extrem schwierige Phase überstehen.
- Michael Kamm
Der Abriss schafft auch neue Durchblicke, hier auf Teile der Schlossanlage in Heidenheim.
Mit der endgültigen Schließung des Betriebs am 31. März 2006 ging ein großes Stück Heidenheimer Industriegeschichte zu Ende – 200 Jahre nachdem sie begonnen hatte. Bis dahin befand sich das Unternehmen noch in Familienhand, doch die 40 Erben beschlossen, ihre Anteile an zwei internationale Finanzinvestoren zu verkaufen.
Und mitten in der Stadt gab es plötzlich eine Industrieruine, ein Sammelsurium aus alten und neuen Bauten, aus Produktionshallen und Büroräumen, eine Art industrielle Geisterstadt, deren Zukunft völlig offen war.
Um das Gelände städtebaulich entwickeln zu können, beschloss der Gemeinderat im Herbst 2007, das Areal von der Firma Ploucquet zu kaufen, doch für den Abriss der Gebäude sollte noch das Unternehmen zuständig sein.
Großes Gerät wird aufgefahren, ein Abriss hat ja auch immer etwas faszinierendes.
Im März 2008 wurde das Gelände dann als Sanierungsgebiet ausgewiesen, denn nur so konnten auch Fördermittel fließen. Der Abriss der Industriebauten ging im gleichen Jahr über die Bühne, die Stadt konnte das 2,3 Hektar große Areal ihr Eigen nennen, doch was hier passieren sollte, war zunächst unklar.
2010 brachte der Gemeinderat dann einen Rahmenplan zu Papier, der die Eckpfeiler für die Entwicklung des leerstehenden innerstädtischen Areals festlegte: Wohnbebauung sollte hier entstehen, aber auch eine neue Dreifeldhalle, kombiniert mit einem Lebensmittelmarkt, ein „Bildungshaus“ mit Stadtbibliothek und ein großes Gesundheitszentrum.
Doch vieles kam anders: Anfang 2011 erhielt die Essinger Wohnbau den Zuschlag, die Wohnbebauung auf dem seit drei Jahren leer stehenden Ploucquet-Areal zu realisieren, der erste Spatenstich wurde im März 2012 gesetzt.
Seitdem ist hier das neue Stadtviertel gewachsen, die Wohnungen fanden reißenden Absatz. Trotz zahlreicher Bemühungen vonseiten der Politik hat es mit dem Gesundheitshaus nicht geklappt, es gibt einen riesigen Lebensmittelmarkt – ohne Dreifeldhalle, und die neue Stadtbibliothek wird auf dem überraschend frei gewordenen Areal des früheren Gefängnisses mitten in der Stadt gebaut.
Die Firma Ploucquet hat bis heute Bestand, ist spezialisiert aufs Veredeln, Färben und Herstellen von Textilien, der Hauptsitz befindet sich in Unterföhring. In Heidenheim sind von dem einst stolzen, alteingesessenen Familienunternehmen nur noch Namen geblieben: die Ploucquetstraße und das Ploucquet-Areal.
Nachdem sich das Unternehmen wirtschaftlich erholt hatte, wurde 1956 ein Neubau mit modernen Maschinen auf dem Gelände bezogen. In den darauffolgenden Jahren spezialisierte sich C.F. Ploucquet immer mehr auf Funktionstextilien, aus der einstigen Weberei und Stofffärberei war längst ein Hightechunternehmen geworden. Zwar gab es in der jüngeren Unternehmensgeschichte immer wieder Krisen, doch die, die Anfang der 2000er-Jahre einsetzte, sollte das Unternehmen, das hier entstanden und gewachsen war, in Heidenheim nicht überleben. 2002 wurde bekannt, dass C.F. Ploucquet aufgrund der Umsatzeinbrüche 95 Mitarbeitern kündigen müsse. Damals waren in Heidenheim noch 475 Mitarbeiter beschäftigt. Doch der Stellenabbau wurde noch größer, weil ein Teil der Produktion von Heidenheim in andere Werke der Ploucquet-Gruppe verlegt wurde. In dieser Zeit gab es auch etliche Wechsel in der Geschäftsführung des Unternehmens, der Arbeitsplatzabbau ging immer weiter, bis Ende 2005 verkündet wurde, dass der Standort Heidenheim komplett geschlossen und der Firmensitz nach München verlagert wird.
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