Jahresrückblicke – 1968
Ein immer noch bedeutungsvolles Jahr, von dem ich als Neunjähriger weltpolitisch wenig mitbekommen habe. Zu der Zeit war ich noch in Renningen in der Grundschule, hatte jede Menge gemeinsame Freunde mit meinem Zwillingsbruder und auch gemeinsam Klavierunterricht mit ihm, was wir beide nicht wirklich ernst nahmen. Den Sommer verbrachten wir beim Segeln am Chiemsee und den Winter beim Skifahren in der Schweiz. Darüber hinaus ist das Jahr 1968 in vielen Ländern der Höhepunkt der linksgerichteten Studenten- und Bürgerrechtsbewegungen der 1960er-Jahre, die daher auch als 68er-Bewegung bezeichnet werden. In den USA sind das die Proteste gegen den Vietnamkrieg und die schwarze Bürgerrechtsbewegung, deren Anführer Martin Luther King im April des Jahres ermordet wird, in Frankreich die Mai-Unruhen, in der Bundesrepublik die Studentenbewegung, die Proteste gegen die Notstandsverfassung, und die Außerparlamentarische Opposition, in der ČSSR der Prager Frühling, in Polen die März-Unruhen, die Studentenproteste in Mexiko und in Japan die Proteste von Zengakuren. Im nahen Osten zerstört eine Israelische Kommandoeinheit in einer Vergeltungsaktion am Beiruter Flughafen 13 Flugzeuge und noch im Januar startet die Nationale Front für die Befreiung Südvietnams (FNL) aus dem kommunistischen Nordvietnam mit rund 84.000 Kämpfern die Tet-Offensive und greift die Provinzhauptstädte Saigon und Huế an. Strategie und Stärke der Angriffe überraschen die amerikanischen und südvietnamesischen Truppen, welche sich bis dahin in dem Konflikt eher in der Oberhand sahen. Die Offensive endet in einer schweren militärischen Niederlage für die FNL, welche die Hälfte ihrer Truppen verliert. Saigon und Huế werden schwer zerstört. Die FNL wird stark geschwächt und tritt im weiteren Verlauf des Krieges kaum noch in Erscheinung. Sie kann jedoch einen wichtigen psychologischen Erfolg verbuchen: Erstmals wird der US-Öffentlichkeit deutlich, dass der Vietnamkrieg mit einer Niederlage enden könnte. Präsident Lyndon B. Johnson verliert an Popularität und politischer Glaubwürdigkeit, und die Proteste gegen den Krieg werden schärfer. Das von US-Truppen begangene Massaker von My Lai, das allerdings erst im darauffolgenden Jahr durch einen Artikel im Magazin Life bekannt wird, dreht die öffentliche Stimmung endgültig.
- Michael Kamm
Rudi Dutschke war ein deutscher marxistischer Soziologe und politischer Aktivist. Er gilt als Wortführer der Studentenbewegung der 1960er Jahre in West-Berlin und in Westdeutschland. Bei einem Attentat auf ihn im April 1968 erlitt er schwere Hirnverletzungen, an deren Spätfolgen er 1979 starb.
In der Tschechoslowakei kommt es unter dem Motto „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ im Prager Frühling zu einer schrittweisen Liberalisierung der Verhältnisse unter Alexander Dubček, der im Januar zum ersten Sekretär der KSČ aufsteigt. Unter anderem wird die Pressezensur aufgehoben. Diese Entwicklung endet jedoch in der Nacht zum 21. August schlagartig, als etwa eine halbe Million Soldaten der Sowjetunion, Polens, Ungarns und Bulgariens in die Tschechoslowakei einmarschieren und innerhalb von wenigen Stunden alle strategisch wichtigen Positionen des Landes besetzen. Dubček und andere hochrangige Regierungsmitglieder werden festgenommen, nach Moskau gebracht und zu Gunsten des linientreuen Gustáv Husák entmachtet. Im seit dem Vorjahr andauernden Biafra-Krieg wird die abtrünnige Provinz Biafra von den wesentlich besser ausgerüsteten Truppen der nigerianischen Regierung zu zwei Dritteln besetzt. In der Region kommt es zu einer Hungerkatastrophe, deren Bilder um die Welt gehen.
Katastrophen im Jahr 1968: Die Hongkong-Grippe fordert zwischen 750.000 und 1 Million Menschenleben. Überschwemmungen im Bundesstaat Bahia in Brasilien fordern über 200 Tote und rund 50.000 Obdachlose. Bei einem Erdbeben in Sizilien sind 231 Tote und 263 Verletzte zu beklagen. Ein US-Langstreckenbomber vom Typ Boeing B-52 stürzt unweit der Thule Air Base in Grönland ab. Er verliert dabei vier Wasserstoffbomben. Drei können aus dem Eismeer geborgen werden. Die Suche nach der vierten ist erst im Jahr 1979 in der Baffin Bay erfolgreich. Der Absturz löst radioaktive Kontaminationen in der Umgebung aus. Vermutlich eine Explosion an Bord des sowjetischen U-Boots K-129 lässt es auf den Meeresgrund sinken. Alle 86 Besatzungsmitglieder finden den Tod. Der Untergang ist Anlass zum Azorian-Projekt, dem geheimen Versuch der CIA, das U-Boot aus über 5.000 Metern Tiefe zu bergen. Absturz einer südafrikanischen Verkehrsmaschine mit 129 Toten. Das amerikanische Atom-U-Boot USS Scorpion (SSN-589) versinkt mit 99 Mann 400 Meilen südwestlich der Azoren. Größter Chemieunfall der DDR im elektrochemischen Kombinat Bitterfeld, bei dem nach einer Vinylchlorid-Explosion 42 Personen getötet und über 200 verletzt wurden. Erdbeben auf Celebes, etwa 200 Tote. Erdbeben der Stärke 7,3 im Iran, 12.000 bis 20.000 Tote
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