Muslimischer Judas in tragender Rolle – Passionsfestspiele in Oberammergau – 2022
Ende Mai zog es mich für einen ganzen Tag ins Oberland, wo am 14. Mai die 42. Passionsspiele in Oberammergau begonnen hatten. Das weltberühmte Laienspiel geht auf ein Gelübde aus dem Jahr 1633 zurück, da - vor fast 400 Jahren - nach dem 30jährigen Krieg die Pest in vielen Teilen Europas wütete und auch vor dem oberbayerischen Dorf im Ammertal nicht haltgemacht hatte. Die Bewohner gelobten damals, in jedem zehnten Jahr das Leiden und Sterben Christi aufzuführen, wenn nur niemand mehr an der Pest sterben sollte. Die Bitte des Dorfes wurde erhört, die Einwohner lösten ihr Versprechen ein und so spielten die Oberammergauer 1634 das erste Passionsspiel. Die letzten Passionsspiele fanden im Jahr 2010 statt. Zu diesem Großereignis kamen 515.000 Menschen aus aller Welt und auch in diesem Jahr war ich auf meinem Platz in der 8. Reihe von Amerikanern umzingelt. Was man dazu wissen sollte: Eigentlich sollten die 42. Passionsspiele im Jahr 2020 stattfinden. Doch Corona machte dem Laienspiel einen Strich durch die Rechnung. Die Spiele wurden wegen der Pandemie um zwei Jahre verschoben, nun finden sie – bereits zum vierten Mal unter der Regie von Christian Stückl – vom 14. Mai bis 2. Oktober 2022 statt. Montags und Mittwochs ist spielfrei sonst geht es immer von 14:30 Uhr bis 17:00 Uhr und von 20:00 Uhr bis 22:30 Uhr ins Festspielhaus. In der drei Stunden langen Pause gehen die Besucher im Ort spazieren oder zu einem frühen Abendessen. An den Passionsspielen wirkt traditionell gut die Hälfte des oberbayerischen 5.000-Einwohner-Ortes Oberammergau mit. Neben den großen Figuren Jesus, Maria, Petrus, Judas, Pontius Pilatus und Kaiphas gibt es 120 größere und kleinere Sprechrollen, dazu Soldaten, Priester und das Volk von Jerusalem. Mitmachen darf nur, wer in Oberammergau geboren und aufgewachsen ist oder seit mindestens 20 Jahren im Dorf wohnt. Insgesamt wirken in diesem Jahr etwa 2.100 Laiendarsteller aus Oberammergau mit, 500 davon sind Kinder. Erstmals übernimmt in diesem Jahr ein Muslim eine Hauptrolle: Der Oberammergauer Cengiz Görür feiert als Judas sein Debüt in einer tragenden Rolle. Eine Provokation wolle er in dieser Besetzung jedoch nicht sehen, betonte Spielleiter Christian Stückl, welchen ich vor mehr als 30 Jahren in meiner Murnauer Zeit kennengelernt habe. Auch diesmal war Murnau bei meinem Ausflug ein Thema, da ich auf der Fahrt nach Oberammergau eine sehr nette und ausführliche Pause zu einem Weisswurstfrühstück bei meinen mit mir befreundeten früheren Nachbar Ruth und Sepp Stoer am Dünaberg gemacht habe, was wir drei sehr genossen haben.
- Ruth & Sepp Stoer, Michael Kamm
Jesus von Nazareth wird gemeinsam mit zwei Verbrechern - Schächern - gekreuzigt. Der mit dem Namen Gestas verschmäht Jesus; der andere - Dismas - zeigt Reue und wird durch Jesus erlöst
Über der riesigen Bühne ist der Himmel offen ... der Festspielraum ist komplett überdacht und fasst 4.000 Personen
Das Publikum erinnerte mich an die Teilnehmer des Katholischen Kirchentags in Stuttgart, den ich am Wochenende zuvor besucht hatte. Vorwiegend Gruppenreisende in sehr legerem Outfit
Der sehr große Jesus ritt auf einem Esels ähnlichen Pferd auf die Bühne. Bei einem normalen Esel wären seine langen Beine wohl am Boden hinterher geschleift worden
Judas hatte ganze Arbeit geleistet ... und Jesus wurde nach dem gemeinsamen Abendmahl abgeholt worden und ins Gefängnis gesteckt
Eine kurze Stippvisite durch das Dorf der Holzschnitzer und Lüftlmaler, wobei auch das Ettaler Manndl und das Pilatus Haus zu sehen ist. 10 Tage vor mir waren bereits Birgit, Volker und Valentin Hannwacker bei den Festspielen in Oberammergau gewesen
Feinkost Käfer hatte erstmals einen eigenen Pavillon direkt vor den Eingang des Festspielhauses platziert ... hier war es für mich an diesem Dienstag problemlos möglich noch einen Tisch fürs Abendessen zu reservieren
Das Pilatushaus im Herzen von Oberammergau ist das Zentrum für Kunst und Kunsthandwerk. Es ist geschmückt mit zahlreichen Lüftlmalereien, die 1784 von dem Oberammergauer Lüftlmaler Franz Seraph Zwinck geschaffen wurde, darunter auf der Gartenfront des Hauses die Verurteilung Jesu durch Pilatus. Eben dieser Szene verdankt das Haus seinen Namen.
Jesus wird von Frederik Mayet gespielt, der die Rolle bereits zum zweiten Mal übernimmt, sowie von Rochus Rückel, dem zweitjüngsten Jesus-Darsteller in der fast 400-jährigen Geschichte der Passionsspiele. Eine Herausforderung sei der zehnminütige, leidvolle Todeskampf am Kreuz, sagt Mayet. Danach müsse er noch mal zehn Minuten "tot" am Kreuz hängen – ohne Zucken und Zittern.
Wenn Jesus vom Kreuz genommen und auf den Boden gelegt wird, gibt es als Unterlage schon mal eine Thermodecke. Auch steht hinter den Kulissen eine Dusche für die mit Kunstblut verschmierten Jesus-Darsteller und die beiden anderen Gekreuzigten bereit. Die Dusche wird auch gerne zum Aufwärmen genutzt. Am Kreuz befestigt sind Mayet und der zweite Jesus-Darsteller Rückel übrigens mit einem Klettergurt unter dem Lendenschurz. Hände und Füße sind unter gebogenen Nägeln befestigt, die Füße stehen auf einer kleinen Platte.
Bei meiner Fahrt nach Murnau wurden alte und schöne Erinnerungen wach. Von 1991 an habe ich zunächst in Hagen oberhalb der Loisach und dann später am Dünaberg in Murnau gewohnt
Die Kirche in Hagen ist direkt neben dem Biergarten der Wirtschaft "Heimgarten" und unser damaliges Haus ist ziemlich seltsam umgebaut worden und alle schönen Bäume wurden entfernt
So sah das Anwesen zu unserer Zeit noch aus ...
Bei Ruth und Sepp Stoer - unseren damaligen Nachbarn aus der Christoph-Probst-Strasse - hab es Weisswürste und Meckatzer Bier, da Maxi - eines von fünf Kindern - bei Michael Weiß als Braumeister arbeitet
Unser früheres Haus in der Christoph-Probst-Strasse ist mittlerweile durch die Bäume des Nachbargrundstücks extrem eingewachsen
Die Fahrt von Bad Kohlgrub durchs Ammertal ist landschaftlich einfach nur herrlich
Zwei Tage vorher wurde mit dem Tunnel Oberau der längste bayerische Strassentunnel eingeweiht ... den musste ich auf der Rückfahrt gleich noch ausprobieren
Da muss man mal gewesen sein ....
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