Sehnsuchtsziel Bella Italia – Entdecker wie Goethe in Mignon – 1977
Am Vortag 18 Jahre jung und damit volljährig geworden, den drei Tage vorher bestandenen Führerschein in der Tasche und jede Menge geschenkte Lire und Travellers Cheques im Portemonnaie: Also nichts wie weg! Das erste Mal überhaupt geht es daher für mich nach Italien, in das verheißungsvolle Land, in dem die Zitronen blühen. Meine damalige Freundin Alexandra Zapp - bereits ein Jahr älter und in unserer gemeinsamen Schule im Internat Schloß Neubeuern eine Klasse über mir - hat in der selben Woche ihr Abitur bestanden und von ihrem großzügigen Vater zu diesem zu feiernden Ereignis einen chicen neuen BMW 1602 bekommen, der uns eine sofortige und gar unglaubliche Mobilität verlieh. Von meinem Vater hatte es für mich zum 18. Geburtstag die finanziellen Mittel gegeben, die die Reise über den Brenner finanzieren sollten. Hurra! Sofort los, das Auto auf der Strada del Sole testen und das Geld unter die Leute bringen! Ganz schnell war das Ziel Rom definiert und noch am selben Abend sind wir spontan in Neubeuern losgefahren. Die spannende Fahrt ging die Nacht durch über den Brenner, an Verona und Florenz vorbei bis nach Rom, wo wir am frühen Morgen ankamen, in einer Nebenstrasse im Auto schliefen und dann auf Hotelsuche gingen. Drei Tage blieben wir zum Sightseeing in der "ewigen Stadt", bevor es durch die Toskana weiter an die Adria ging. Ein kurzer relaxter Strandaufenthalt bei Rimini und schnell weiter nach Venedig zu einem luxuriösen Zwischenstop im legendären Grandhotel Cipriani, in dem wir mit Mathias Albert aus Wien einen weiteren Abitursfreund aus Neubeuern mit seinen Großeltern trafen. Danach ging es viel zu schnell zurück nach Neubeuern. Es war das ganz große romantische Abenteuer, der Trip war lange in meiner Erinnerung und vermutlich wurde in diesen schönen Tagen meine immerwährende Liebe zu Italien geweckt!
- Alexandra Zapp & Michael Kamm
Da hat Alex gut lachen! Im brandneuen Auto mit Abi in der Tasche, mich im Gepäck und die große Freiheit im Visier.
Noch einmal kurz die Augen schließen. Ist es etwa nur ein Traum?
Je näher wir dem Meer kommen, desto besser gelingt auch das .... am Strand bei Rimini
Immer Appetit und doch rank und schlank. Wie ging das nochmal?
Die Mode der "Schlaghosen" kann man hingegen getrost vergessen ... dieses damals chice Modell punktet heute auf der Piazza San Marco nicht mehr. Die Sonnenbrille geht noch immer. Anekdote zu Sehhilfen: Mit 18 war ich etwas kurzsichtig, vermied es jedoch eine Brille zu tragen. Hat in der Regel funktioniert, allerdings nicht bei einer fast 10 stündigen Nachtfahrt über italienische Autobahnen mit damals uralten Tunneln. Ich habe daher versucht mit zusammen gekniffenen Augen besser zu sehen .... war aber keine Ideallösung, sondern noch anstrengender als das Autofahren.
Alex - die ebenfalls aus Stuttgart stammt, wo auch ihre Mutter wohnt - entschied sich direkt nach unserer Reise für ein Studium in Hamburg und lebte später lang in Köln. Von Ihrem Bruder Michael übernahm ich einige Jahre später unsere herrliche Wohnung in der Mandlstrasse
Für bildungsreisende Künstler und Wissenschaftler war Italien lange ein ganz wichtiger Ort der Inspiration und der Forschung. Der Archäologe Johann Joachim Winckelmann ist eine der berühmtesten Figuren, Karl Friedrich Schinkel studierte in Süditalien die Architektur der Magna Graecia, Felix Mendelssohn Bartholdy zog es nach Italien, Richard Wagner ebenfalls, es folgten Industrielle und Intellektuelle, die an der Amalfiküste und auf Capri regelrechte deutsche Kolonien bildeten. Ende des 19. Jahrhunderts zogen Thomas und Heinrich Mann nach Rom, der Umfang literarischer Werke über Italienreisen aus den vergangenen Jahrhunderten ist gigantisch – und kann kaum nachgereist werden. Italienreisen waren natürlich lange nur wohlhabenden Kandidaten möglich und blieben es bis in die Kriege des 20. Jahrhunderts. Erst später begannen die deutschen Normalbürger, den Geschichten der Intellektuellen nachzufahnden. 1946 sang Rudi Schuricke die im Krieg komponierten Capri-Fischer neu ein und löste eine nie dagewesene Italiensehnsucht aus. Zwei Millionen Deutsche machten sich 1955 auf den Weg über die Alpen, Camping boomte und der Wissenshunger war weitestgehend dem Bedürfnis nach Sonne und Meer gewichen. Der Tourismus, für den Norditalien lange ein Transitland war, verlagert sich an die beiden Küstenstreifen des oberen Stiefels und an die großen Seen. Um Genua herum beispielsweise war Tourismus 1950 etwas völlig Neues, man war schlicht nicht darauf eingestellt, reagierte aber. Die damalige Art des Reisens ist in Zeiten des entweder oder, des Individualurlaubs oder Massentourismus am Strand, natürlich längst nicht mehr aktuell. Die komischen Seiten an dieser Zeit haben Heinz Erhardt in „Das kann doch unsren Willi nicht erschüttern“ und Gerhard Polt in „Man spricht deutsh“ hinlänglich geschildert. Zwischen den Strandbädern und Discos der Adria gibt es übrigens noch Pensionen, die so aussehen wie jene in der Zeit der 60er und 70er Jahre. Neue Entdecker sind gefragt.
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