Jahresrückblicke – 1968
Am Di., 31. Dezember 1968
Ein immer noch bedeutungsvolles Jahr, von dem ich als Neunjähriger weltpolitisch wenig mitbekommen habe. Zu der Zeit war ich noch in Renningen in der Grundschule, hatte jede Menge gemeinsame Freunde mit meinem Zwillingsbruder und auch gemeinsam Klavierunterricht mit ihm, was wir beide nicht wirklich ernst nahmen. Den Sommer verbrachten wir beim Segeln am Chiemsee und den Winter beim Skifahren in der Schweiz. Darüber hinaus ist das Jahr 1968 in vielen Ländern der Höhepunkt der linksgerichteten Studenten- und Bürgerrechtsbewegungen der 1960er-Jahre, die daher auch als 68er-Bewegung bezeichnet werden. In den USA sind das die Proteste gegen den Vietnamkrieg und die schwarze Bürgerrechtsbewegung, deren Anführer Martin Luther King im April des Jahres ermordet wird, in Frankreich die Mai-Unruhen, in der Bundesrepublik die Studentenbewegung, die Proteste gegen die Notstandsverfassung, und die Außerparlamentarische Opposition, in der ČSSR der Prager Frühling, in Polen die März-Unruhen, die Studentenproteste in Mexiko und in Japan die Proteste von Zengakuren. Im nahen Osten zerstört eine Israelische Kommandoeinheit in einer Vergeltungsaktion am Beiruter Flughafen 13 Flugzeuge und noch im Januar startet die Nationale Front für die Befreiung Südvietnams (FNL) aus dem kommunistischen Nordvietnam mit rund 84.000 Kämpfern die Tet-Offensive und greift die Provinzhauptstädte Saigon und Huế an. Strategie und Stärke der Angriffe überraschen die amerikanischen und südvietnamesischen Truppen, welche sich bis dahin in dem Konflikt eher in der Oberhand sahen. Die Offensive endet in einer schweren militärischen Niederlage für die FNL, welche die Hälfte ihrer Truppen verliert. Saigon und Huế werden schwer zerstört. Die FNL wird stark geschwächt und tritt im weiteren Verlauf des Krieges kaum noch in Erscheinung. Sie kann jedoch einen wichtigen psychologischen Erfolg verbuchen: Erstmals wird der US-Öffentlichkeit deutlich, dass der Vietnamkrieg mit einer Niederlage enden könnte. Präsident Lyndon B. Johnson verliert an Popularität und politischer Glaubwürdigkeit, und die Proteste gegen den Krieg werden schärfer.
Das von US-Truppen begangene Massaker von My Lai, das allerdings erst im darauffolgenden Jahr durch einen Artikel im Magazin Life bekannt wird, dreht die öffentliche Stimmung endgültig.
Mit dabei waren
- Michael Kamm
